11.11.2022

Was Gefühle wirklich sind und was das für Marketing und Werbung bedeutet

von AXEL ECKSTEIN

Es war zunächst eine Randerscheinung, doch längst sucht es das Rampenlicht und hat dabei in den letzten Jahren noch einmal kräftig Schub erfahren: das Wort emotional.

Wir hören es regelmässig – ob in Statements von Fussballspielern, Politikern oder Marketing- und Werbeleuten.

Wahrscheinlich ist emotional aber auch das Wort, bei dem am wenigsten klar ist, was genau man darunter verstehen sollte.

Was also sind Emotionen? Führende Emotionsforscher befragten einander nach ihrer Definition und konnten keine grosse Übereinstimmung feststellen. Einer brachte das Dilemma auf den Punkt:

«Everyone knows what an emotion is until asked to give a definition.»

Schlimmer noch: Innerhalb der letzten 40 Jahre hat sich allein in der Forschungsliteratur die Anzahl der Definitionen verfünffacht.

Zudem werden Emotionen in der seriösen Wissenschaft meist anders betrachtet als im Marketing, weil dort weniger die Wahrheit, sondern vielmehr ein Markt für Beratungsleistungen gesucht wird.

Der Forschungsgegenstand Emotionen entzieht sich jedem direkten Zugang. Und einem breiten Konsens.

Trotzdem haben wir heute einen Erkenntnisstand, der dem eigentlichen Wesen von Emotionen wohl recht nahe kommt.

Führende Neurologen bauten eine neue empirische Basis. Und bestätigten das, was schon Darwin sah: Emotionen sind überlebenswichtig.

Emotionen sind vergänglich.

Emotion kommt von lateinisch emovere : herausbewegen.

Etymologisch, aber auch neurophysiologisch betrachtet haben Emotionen mehr mit Veränderungen zu tun als mit Zuständen. Beweg dich heraus aus einer Situation, in der du nicht bleiben solltest. Das ist die eigentliche Botschaft unserer Emotionen.

Erregungszustände sind nicht auf Dauer angelegt. Bei einem gleichbleibenden Reiz schwächt sich die emotionale Reaktion ab; mitunter verschwindet sie ganz.

Das Prinzip findet sich bereits auf zellulärer Ebene, an unseren Synapsen. Nach einer Transmitter-Aktion brauchen die dortigen Ionen eine längere Zeit, um sich wieder in Position zu bringen.

Die wie immer hocheffiziente Evolution verfolgt damit eine «Kostensenkung». Denn wo schon ein Signal empfangen wurde, können Ressourcen zur Wahrnehmung vorübergehend reduziert werden. Zugunsten anderer Zellen in Alarmbereitschaft.

Mehr Input heisst also nicht mehr Gefühl. Viele Emotionen gehen nach bestimmter Zeit in ein Stimmungskontinuum über, das vermehrt kognitive Anteile einschliesst.

Dieser Effekt lässt sich auch im ganz grossen Massstab beobachten. In Entwicklungsländern steigt das persönlich empfundene Glück mit dem Pro-Kopf-Einkommen rasant an. Schon bei den typischen Summen für Schwellenländer flacht die Kurve ab und bewegt sich fortan eher seitwärts. Die Schweiz ist fünfmal so reich wie Kolumbien, aber nur ein knappes Prozent glücklicher.

Niemand hat es besser formuliert als Sigmund Freud: «Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen.»

Stärkere Stimuli führen nicht zu stärkeren Emotionen und es ist auch nicht ihr Zweck, unser Leben reicher, interessanter und schöner zu machen. Emotionen funktionieren vielmehr wie ein Regelkreis und sind ein fundamentales Prinzip zur Lebenserhaltung. Ein Feedbacksystem im Gehirn, das abgleicht, wo wir in Bezug zu unseren Zielen stehen.

Erst Problemlösung, dann Lustgewinn.

Wenn Emotionen der dynamischen Anpassung an einen Normalzustand dienen und wenn über weite Strecken unserer Stammesgeschichte gefährliche Situationen die Regel und nicht die Ausnahme waren, dann ist es kein Wunder, dass wir ein «negatives Gehirn» besitzen.

Unser Negativity Bias ist empirisch belegt, nicht zuletzt durch die bahnbrechenden Experimente des Psychologen Daniel Kahnemann: «Wir hassen Verluste viel mehr, als dass wir Gewinne lieben.»

Negative oder, neutraler formuliert, aversive Emotionen haben immer Vorrang. Sie blenden alles aus, was nicht unmittelbar als Problemlösung erkennbar ist. Und die selektive Wahrnehmung ist umso stärker, je gravierender das Problem ist. Erst wenn es gelöst ist, sind wir offen für das, was Spass macht.

Dass wie im Italienischen mit Emozioni auch freudige Erregung und Leidenschaft gemeint sein kann, ist sympathisch, aber irreführend, wenn man Emotionen von Grund auf verstehen will.

Emotionen machen freier.

Einer der vielleicht überraschendsten Aspekte von Emotionen ist der Gewinn an Flexibilität, den sie bieten. Tatsächlich haben sie mehr mit Freiheit zu tun als mit Zwang.

Emotionen sind ein intelligentes Interface, das zwischen Input und Output vermittelt. Durch die Entkopplung von Reiz und Reaktion statten sie unser Verhalten mit grösseren Anpassungsmöglichkeiten aus.

Die landläufige Vorstellung von Emotionen als mächtigem Diktator, der Menschen typische Reaktionsmuster aufnötigt, stimmt so nicht. Emotionen sind eher der Kollaborateur im Regime. Sie helfen uns, unser Verhalten so zu variieren, dass es unseren persönlichen Zielen dient.

Fühlen beschleunigt Denken.

Das klassische Hemisphärenmodell, welches der linken und rechten Gehirnhälfte unterschiedliche exklusive Aufgaben zuweist, gilt als überholt.

Die Unterteilung in ein schnelles, automatisches und ein langsames, anstrengendes System hält wissenschaftlichen Kriterien heute mehr Stand und lässt sich sogar selbst überprüfen.

Beim sogenannten Stroop-Test müssen Farbwörter vorgelesen werden, die tückischerweise nicht mit der gleichen Farbe eingefärbt sind, die sie jeweils bezeichnen. Wer es probiert, spürt sofort, wie die beiden Denksysteme in Konflikt miteinander geraten.

Einige neuronale Prozesse sind dreimal schneller als andere. Bei ersteren handelt es sich um das, was wir umgangssprachlich eher «Fühlen» nennen würden und letzteres entspricht eher unserem Eindruck von «Denken».

Noch bevor wir denken, sie bewusst zu treffen glauben, hat unser limbisches System den Grossteil unserer Entscheidungen bereits vorweggenommen.

Emotionen sind einfache, effiziente Bewertungscodes für charakteristische Situationen, die in den meisten Fällen (nicht allen!) zutreffend sind.

Alles ist emotional.

Mit dem Hemisphärenmodell begraben muss man auch die Idee einer rationalen und einer emotionalen Hirnhälfte. Das Gegenteil von emotional ist nicht rational, sondern unemotional. Und das gibt es eigentlich nicht im Gehirn.

«Es gibt kein Bewusstsein ohne Gefühl» sagt der renommierte Hirnforscher Gerhard Roth.

Können wir uns etwas Emotionaleres vorstellen als die rationale Feststellung «Ich habe sechs Richtige»?

Selbst radikal funktionale Dinge wie der Suchschlitz von Google provozieren ein unablässiges Rauschen emotionaler Bewertungen. Von der Bewunderung des dahinterliegenden Geschäftsmodells bis zum Frust, dass man mal wieder das Falsche angeklickt hat.

Und wenn Mathematiker, Inbegriff des rationalen Menschen, die Schönheit, ja spirituelle Dimension ihrer Arbeit beschreiben, steigen Tränen in ihre Augen.

Denken geschieht nie vollständig unabhängig von Fühlen. Im Gegenteil: Emotionen leiten jeden noch so rational wirkenden Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Entscheidungsprozess.

Emotionen bewerten Emotionen.

Primäre Emotionen können von sekundären Emotionen überformt werden. Dadurch können sich Bewertungen sogar umkehren.

Freude gilt als «positiv». Schadenfreude ist auch Freude, aber wir bewerten sie ganz anders. Und falls nicht, dann nur solange wir nicht selbst zu ihrem Ziel werden.

Etwas, das manche für die universale Sprache der Gefühle halten, demonstriert Kontextabhängigkeit und Wertsubjektivität am extremsten: Musik. Forscher stellten fest, dass der vermutete gemeinsame Urgrund für musikalisch erzeugte Gänsehaut nicht existiert. Die einen kriegen sie bei Hip Hop, die anderen bei Monteverdi. Was wir beim Musikhören fühlen, ist ganz und gar abhängig von unserer individuellen Hörbiographie.

Absolut positive oder absolut negative Emotionen kann es nicht geben. Nennen wir sie korrekter appetitive und aversive Emotionen. Kurz: Lust suchen, Schmerzen vermeiden. Beide Formen stehen in einem komplexen Wechselspiel und sind grundsätzlich «positiv». Und zwar in dem Sinne, dass sie uns helfen, in einen für uns optimalen Zustand zu gelangen.

Wie man Gedanken lesen will.

Seit seinen Anfängen vor 20 Jahren hat sich das Neuromarketing einen festen Platz als Angebot für Unternehmen erobert. Es basiert im Wesentlichen auf zwei Annahmen, die grundsätzlich nicht falsch sind: dass Emotionen eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen und dass solche Prozesse überwiegend unbewusste, implizite Elemente enthalten.

Die Schwierigkeiten entstehen bei dem Versuch, neurale Vorgänge zweifelsfrei zu deuten und daraus Handlungsanweisungen für die Optimierung von Marketingmassnahmen abzuleiten.

Das hindert findige Unternehmer nicht daran, Messverfahren der medizinischen Diagnostik zu nutzen, um Geld mit Gefühlen zu machen. Zuerst einmal mit der Angst ihrer Klienten, keinen Erfolg zu haben.

Emotionen setzen sich aus mehreren Komponenten zusammen, gemessen wird aber meist nur eine einzige. Und wenn doch mehrere gemessen werden, zeigen sich kaum Korrelationen.

So scheiterten zum Beispiel Versuche, die durch automatische Bilderkennung erfolgte Klassifizierung von Gesichtsausdrücken in Einklang zu bringen mit den per EMG gemessenen Aktivitäten eines Gesichtsmuskels, der für den emotionalen Ausdruck wichtig ist.

Manchmal lächeln wir nicht aus Freude, sondern aus Scham, Höflichkeit oder Missgunst. Für zuverlässige Beurteilungen von Gesichtsausdrücken ist der Kontext nötig.

Neuro-Imaging zeigt Gehirnaktivität, aber nie Denkinhalte, geschweige denn Gefühle. Die Gehirnaktivität ist oft so weit verteilt, dass sie sich keinem Areal mit bekannter Funktion zuordnen lässt. Und diese Muster sind bei jedem Menschen anders, selbst nach identischen Reizen.

Der Neurowissenschaftler John Cacioppo drückte sich akademisch aus und sprach dennoch Klartext, als er sagte, dass «der kategorische Fehler» die Annahme sei, «kognitive Phänomene liessen sich eindeutig neuralen Substraten zuordnen.»

Manche Neuromarketer suggerieren aber genau dies. Zudem, dass sich Emotionen von aussen einigermassen gezielt ein- und ausschalten liessen. Natürlich vorausgesetzt, man kenne erst einmal ihren «geheimen Code», wodurch man schliesslich zum Gebieter über den Konsumentenwillen aufsteige.

Mit diesem Wunsch meldet sich das reaktionäre Bild des Menschen als Reiz-Reaktions-Maschine zurück.

Dem widerspricht die moderne Erkenntnis, dass Emotionen ein Spiegel unserer Freiheit und Individualität sind.

Bedeutende Emotionsforscher wie Lisa Feldman Barrett und Ute Frevert betonen die Kontrolle, die wir über unsere Gefühle haben. Gefühle stehen uns biologisch-genetisch zur Verfügung und wir beeinflussen, ob und wie wir sie aktivieren.

Warum Emo-Tests ihr Thema verfehlen.

Im Zusammenhang mit Begriffen wie Neuro-, Limbic- oder Emotional-Marketing werden unter anderem Testverfahren für Werbefilme vermarktet.

Die selbstauferlegte Regel, das Bewusstsein der Testpersonen zu umgehen, wird dabei wohl aus Kostengründen selten eingehalten. Statt in deren Hirn wird auf ihre Finger geblickt, die per Computermaus in eine Werteskala klicken.

Die Testinstitute geben eine beschränkte Auswahl an Emotionen vor und folgen darin den alten diskreten Modellen der Siebzigerjahre.

Neben den methodischen Fragezeichen ist das Hauptproblem eine Art Positiv-Dogma. A priori mit dem Etikett «negativ» versehen werden Gefühle wie Angst, Traurigkeit und Ablehnung. Damit gelten sie gleichzeitig auch als schädlich für den kommerziellen Erfolg.

Doch es waren genau diese Gefühle, die EDEKAs Weihnachtsfilm «Heimkommen» damals zum Viralhit mit einigen Millionen Views machten. Und das, ohne das ungebremste Umsatzwachstum zu stoppen, dessen sich das Unternehmen erfreut, seit es auf kreative Werbung setzt.

Den anderen verhängnisvollen Fallstrick bei der Anwendung emotionaler Wirkungstests kann man Graph-Optimierungs-Dogma nennen.

Eine Marktforschungsfirma untersuchte einen Werbespot, worin der Vater eines Teenager-Jungen aufdringlich und peinlich, aber letztlich auch liebenswert dargestellt wird. Der Sohn braucht manchmal bloss ein bisschen mehr Platz für sich: im neuen Familien-Van.

Die Marktforschungsfirma empfahl – wie könnte es anders sein – die «peinlichen» Szenen herauszuschneiden. Allein: Statt komplexer Emotionen erfasste ihr Test ein simples Szenen-Liking.

Ein sekundengenaues Tracking ergibt nicht das versprochene «reale Bild der Gefühle während ihrer Entstehung», sondern macht blind für die eigentliche Story und markenrelevante sekundäre Emotionen.

Die konstituierende Emotion des Films ist die Erfahrung, dass man einen anderen Menschen peinlich finden und trotzdem lieben kann. Vielen Menschen ist diese Ambivalenz aus dem eigenen Leben vertraut und genau diese muss der Regisseur mit allen Mitteln der Kunst herausarbeiten. Der Lohn: die sekundäre Emotion «Die Marke versteht mich».

Die mikroskopische Sicht, zu der die üblichen Testdesigns zwingen, ignoriert die hierarchische Struktur von Emotionen in Geschichten. Was auf szenischer Ebene «peinlich» (Vater) ist, wird auf der Story-Ebene «lustig», auf Produktebene «geräumig» (Platz für sich im Auto) und auf Markenebene schliesslich zu «menschlich» und «nah».

Die Verschränkung und Dynamik von Emotionen zu negieren, ist falsch. Es wäre schlicht gegen unsere Natur, würden sich Emotionen auf gleichbleibenden Niveau – erst recht dem höchstmöglichen – bewegen.

Warum man ohne Kontraste nichts zu erzählen hat.

Die erfolgreichsten Hollywoodfilme und Videospiele basieren auf den Prinzipien, die bereits Aristoteles vor 2300 Jahren in seiner Poetik niederschrieb.

Für die Mutter aller Storys, die Tragödie, definierte Aristoteles: Mitleid mit dem Helden plus Furcht vor einem ähnlichen Schicksal gleich oikeia hedone, das charakteristische Vergnügen für den Zuschauer.

Oder mit den Worten John Grishams: «Man nimmt eine sympathische Person und setzt sie einer schrecklichen Lage aus. Man muss sie in eine Situation bringen, bei der sie ums Leben kommen könnte. Dabei ist jede Menge Mitgefühl aufrechtzuerhalten.»

Einmal mehr führt Shakespeare das Feld an. In seinen Stücken kommt jede erdenkliche Art des Sterbens vor. Und wie bei Shakespeare üblich, nie grundlos, sondern immer als ein integraler Bestandteil der Handlung und der Idee des Stücks. Shakespeare ist der am meisten übersetzte, inszenierte, verfilmte und analysierte Autor der Weltliteratur. Kurz: der populärste.

Die «Reise des Helden» verspricht uns, dass sich auch die grössten Probleme meistern lassen, wobei wir aufgrund unserer immerwährenden Unsicherheit diesem Glauben leidenschaftlich anhängen.

Obwohl diese und andere «ewigen» Erzählformen auch in der modernen Populärkultur Standard sind, hat es erstaunlich lange gedauert, bis sie Eingang in die Marketingkommunikation fanden. Doch wir sehen sie dort zunehmend. Bei den Cannes Lions gibt es heute Jurykategorien wie «Social Film Series» oder «Live Experience Games» und digitaler Content kommt nicht nur kurz und informativ, sondern auch lang und episch daher.

In diesem Kontext wirkt es kaum noch zeitgemäss, «limbische Widersprüche» für «schlechte Werbung» verantwortlich zu machen, wie es ein Neuro-Consulter tut. Abgesehen davon, dass es schon immer falsch war, das Aufeinandertreffen von Gegensätzen in Geschichten als Problem zu betrachten. Motiv-Exklusivität hilft beim Positioning, nicht beim Storytelling.

Warum die Abwesenheit von Problemen nichts bedeutet.

Die Onkologieabteilung eines Schweizer Spitals wollte ihren Claim «Gemeinsam gegen Krebs» ändern, da dieser durch die Wörter «gegen» und «Krebs» vorwiegend «negativ» sei. Einer der neuen Vorschläge: «Wir für Sie».

Dieses Beispiel zeigt, dass das Positiv-Dogma Marktangebote bis zur Unkenntlichkeit verschleiern kann.

«Damit alle gut ankommen» mag positiv stimmen, wäre aber kein echter Ersatz für das vielleicht harsche, dafür deutliche «Stop» auf einem Verkehrsschild.

Botschaften mit hohem Semantikgehalt helfen uns, sicher durch den Dschungel der Gebote, Verbote – aber auch Angebote zu navigieren.

Die Spielarten des guten Lebens sind gross, aber längst nicht so gross wie die Möglichkeiten, am guten Leben gehindert zu werden. Als Endziel ist Glück und Zufriedenheit keine relevante Information, es geht um den eigenen Weg dorthin.

Erinnern wir uns an den berühmten ersten Satz aus Leo Tolstois Roman Anna Karenina: «Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.»

Um den täglichen Zumutungen zu entgehen, haben für uns Informationen über Dinge, die wir nicht wollen, in vielen Momenten allerhöchste Wichtigkeit: ohne Geschmacksverstärker, ohne Kinderarbeit, ohne Emissionen. Und das ist gut so.

Warum Umwege helfen, Emotionen auszulösen.

Beim Versuch, Emotionen zum Thema zu machen, verfallen Menschen typischerweise – und dies besonders auf Bildern in der Werbung – in eine Art Fröhlichkeitsfuror. Es wird grimassiert und gehüpft, gekichert und gebrüllt.

Doch Expressivität ist nicht gleich Emotionalität.

Nicht ein Bild an und für sich muss jetzt und hier emotional sein, sondern die dadurch unterstützte Vorstellung, wie es wäre, selbst die Marke zu verwenden.

Die grundlegende Methode zur Steigerung emotionaler Wirkungen stammt ursprünglich aus dem Reich der Sprache, aus der Rhetorik: Ein uneigentlicher Ausdruck (verbum translatum) ist verrückterweise oft emotionaler als der eigentliche Ausdruck (verbum proprium).

Man vergleiche den eigentlichen Ausdruck «er ist sehr langsam» mit dem uneigentlichen, aber wirkungsvolleren «dem kann man beim Laufen die Schuhe besohlen».

Nachdem die Methode in der Sprache über Jahrtausende zur Gewohnheit geworden war, begann ihre systematische Anwendung auf Bilder erst in den Zeiten von «Mad Men». Die Zeit, in der auch Roland Barthes’ «Die Rhetorik des Bildes» erschien und «Die visuellen Codes» von Umberto Eco.

In der modernen Werbung ist die Codierung von Botschaften Standard. Entweder wird das Problem dramatisiert oder die Lösung. Per Symbol, Analogie, Übertreibung oder als Grund-Folge-Schema.

Codierungen haben drei grosse Vorteile. Der Verzicht auf Bilder, die allen gehören, bringt mehr Differenzierung. Heikle Themen oder Tabus nicht direkt anzusprechen, fördert die Akzeptanz. Und eine Decodierung – besonders, wenn sie weder zu schnell noch zu langsam erfolgt – aktiviert unser Belohnungssystem.

Emotionen sind keine Eigenschaften, die die Dinge um uns herum tatsächlich haben. Emotionen werden in unseren Köpfen geboren. Und Veränderungen, Brüche und Gegensätze sind ihr Lebenselixier.